Gibt es ein Zurück zur D-Mark?

Eine Variante im Spektrum bürgerlich-politischer Forderungen ist die Rückkehr zur DM (Deutschen Mark), wie sie bis 2001 Zahlungsmittel war. Damit ist die Vorstellung verbunden, nur so könne Deutschland, mit einer „starken Währung“ im Rücken, wieder zurückkehren zur prosperierenden Vergangenheit des „keynianisch-fordistischen Wohlfahrtsstaates“ der Nachkriegsjahre (siehe hier und hier und hier).

H.O.H.

Nachdem bereits die Partei „Po Deutsche Mitte – Initiative pro-DM“ (unter Mitwirkung des ehemaligen Hamburger Innensenators Roland Schill, aufgelöst 2007) dieses Anliegen vertrat, hat sich im April 2013 die Partei „Alternative für Deutschland“ (kurz AfD) konstituiert und diesem Anliegen verschrieben. Es fiel ihr sogar äußerst leicht, jede Menge Anhänger zur tatkräftigen Unterstützung zu aktivieren. Sie soll dabei wohl nicht nur Zulauf der ehemaligen „Pro-DM“, sondern auch von ehemaligen „Republikanern“ und „NPD“ Mitgliedern erhalten, speist sich aber vor allem aus der gutbürgerlichen Mittelschicht. Es folgte eine große Berichterstattung inklusive Befragung von Parteienforschern z.B. im ZDF Mittagsjournal am heutigen 15. April 2013.

Diese Partei AfD ist ein Phänomen, welches uns etwas deutlich vor Augen führt, nämlich hinsichtlich der Beantwortung folgender Fragen:

Wie war es möglich, dass viele Leute, besonders aus dem gut situierten Mittelstand, in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts mit ebensolcher Begeisterung und Geschlossenheit eine Partei wie die NSDAP gewählt haben?

War es damals in der Weimarer Republik nicht ersichtlich, dass die Nazis ein oberfaules Ei waren? Es gab doch den Slogan „Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!“?

Die heute als „rechtskonservativ“ einzuordnende Partei „Alternative für Deutschland“ hat mit ihren historischen Vorläufern Gemeinsamkeiten, die uns eine plausible Antwort darauf geben:

Aus spiritueller Sicht kann man sagen – das liegt an der Geisteshaltung dieser Herrschaften. Diejenigen, die heute die AfD unterstützen, haben die gleiche Gesinnung wie damals jene, die mit blinder Begeisterung der NSDAP ihre Stimme schenkten.

So traurig es ist, es hat sich bezüglich der Verkennung, Ignoranz und Verdrehung der Verhältnisse in der Wahrnehmung nichts geändert. Ideologien können sich offensichtlich wiederholen. Doch die Kapitalismusgeschichte wiederholt sich nicht – weil wir heute auf anderem Niveau, d.h. höherem historischen Stand der Kapitalakkumulation und Produktivität angekommen sind (siehe).

historische DM Münzen

Typisch für diese Geisteshaltung ist folgendes:

Man hält sich selbst für etwas Besseres. Man sieht sich sozial „über anderen“ stehend. Die Inhalte werden nicht selbstkritisch hinterfragt. Zweifel werden unterdrückt. Man macht sich selbst etwas vor. Die Angst die erworbenen Privilegien des Mittelstandes zu verlieren, bestimmt das kleinbürgerliche Bewusstsein. Das ist der „Deutsche Michel“, wie wir ihn kennen, wie er auch in vielen Filmen und Büchern (z.B. „Der Untertan“ von Heinrich Mann – mehr und hier) dargestellt wurde (wobei die Verfilmung in der BRD lange Zeit verboten war!). Anstatt Solidarität befürwortet man tendenziell Mildtätigkeit und Almosen (wie z.B. in den USA üblich). Für „untere soziale Schichten“, Migranten, Roma und Sinti, sowie Femdarbeiter hat man in der Regel wenig gute Worte übrig. Da ist man sogar diskursiv wieder anschlussfähig an den Neoliberalismus, obwohl der ja bekanntlich gerade für den EURO und die Öffnung der Arbeitsmärkte plädiert hatte, um bewusst billige Arbeitskräfte anzulocken.

Die inhaltliche Kompatibilität dieser Partei AfD zu ehemaligen NPD-Mitglieder ist so leicht nachvollziehbar. Sie ist auf einen Nenner zu bringen: Angst erzeugen (siehe auch Bericht „Angst statt Inhalt“ im FREITAG online hier).

Tomaten

Tomaten auf den Augen:

Die Einführung des Euro wird von der AfD gar nicht als Reaktion auf die innere Krise des Kapitals in den 70er und 80er Jahren verstanden (mehr), sondern lediglich als eine subjektive Fehlentscheidung der politischen Herrschaftseliten. Daher erscheint es oberflächlich so, als wenn man das einfach historisch zurückdrehen könne.

Meistens wird populistisch nach Vorne geschoben, dass Deutschland ja der größte Einzahler in die EU-Töpfe sei. Das bestimmt die öffentliche Wahrnehmung. Stimmt auch. Aber da ist nur von den Töpfen des staatlich-europäischen Verwaltungsapparates die Rede. Auf der entscheidenden Ebene der Wertschöpfung und Kapitalakkumulation, also in der Wirtschaft, sieht das genau umgekehrt aus. Da ist definitiv Deutschland der größte Profiteur aller europäischen Länder. Darauf ist auch die deutsche Außenpolitik mit ihrem Austeritäts-Dogma („Sparen“ egal was oder wen es kostet) ausgerichtet. Der ökonomische Teil wird durch diese einseitige Darstellung regelrecht unsichtbar. Dabei hat doch gerade das deutsche Industriekapital massiv an der Einführung des Euro verdient (siehe Bericht „Mythos EU-Zahlmeister: wie Deutschland vom Euro profitiert“ im SPIEGEL online: hier)

historische DM Scheine

Das deutsche Finanz- und Industriekapital muss heute nicht mehr unbedingt Soldaten in andere Länder schicken, um sich deren Ressourcen und Arbeitskräfte zu Diensten zu machen. Die Ausbeutung fremder Länder funktioniert heute viel subtiler, nämlich über Kapitalexport, über Geldströme an den Finanzmärkten, deren Bedingungen juristisch und vertraglich (Verhandlungen und Treffen der G8 Staaten) so gestaltet werden, dass die Gewinnmargen des deutschen Industriekapitals davon überproportional profitieren.

Merkel, Schäuble, Rösler und Co. sind lediglich die Funktionäre und Charaktermasken dieses unsäglichen Spiels, die als Figuren auf dem politischen Parkett agieren und die ökonomischen Zusammenhänge in die geeignete Form bringen und am Verhandlungstisch durchsetzen.

Zu diesen „Schachfiguren“ gehören letztlich auch der CDU-abtrünnige Ökonom Bernd Lucke und seine Parteikameraden jener angeblichen Alternative, sowie deren Unterstützer Hans Olaf Henkel (Autor von „Rettet unser Geld“), einem bekannten Befürworter von Kapitalismus und Globalisierung – und somit auch der damit verbundenen Ausbeutungsverhältnisse!

historische DM Scheine

Ohne Kapital und Marktwirtschaft zu positivieren lässt sich nüchtern feststellen:

Ausgeblendet wird dabei von diesen „AfD-Experten“ z.B. schlichtweg die Tatsache, dass wenn man tatsächlich wieder mit der DM anstatt EURO bezahlen und rechnen müsste, sich deutsche Exporte derart stark verteuern würden, dass es einen dramatischen Einbruch der deutschen Exportüberschüsse geben würde (das wird selbst von den meisten bürgerlichen Ökonomen so erkannt, weshalb man am EURO festhält). Dann wäre es sehr schnell vorbei mit der Selbstherrlichkeit des „deutschen Wohlstandswunders“ auf der „Insel der Glückseeligen“, denn nur durch diese Überschüsse geht es Deutschland heute noch vergleichsweise gut, wobei die extreme Überschuldung und Arbeitslosigkeit in anderen Ländern lediglich die Kehrseite des „deutschen Erfolgsmodells“ darstellen (mehr und hier).

Übersehen wird von der AfD ebenfalls, dass es längst einen regelrechten „Abwertungswettlauf“ zwischen den führenden Währungen gibt, weil jeder seine Exporte ankurbeln möchte, China, Japan und die USA ebenso wie Deutschland (mehr).

Blind für die Zusammenhänge

Abschließend ist noch bemerkenswert, dass der Schritt von derart „rechtskonservativem Denken“ zu rassistischen Vorstellungen und Ideologien nur ein kleiner ist. Die Übergänge sind fließend, wie folgendes Zitat eines AfD-Anhängers zeigt:

Zitat St. M.

Was ein Tilo Sarrazin und andere Buchautoren schon vorgedacht haben, stößt im Denken bei der AfD auf fruchtbaren Boden.

Fazit: Die berühmten Tomaten auf den Augen haben ihre Gründe. Es ist heute an uns gesellschaftlich und inhaltlich auf solche Denkarten und politischen Strömungen zu reagieren. Tun wir es nicht, wissen wir aus der Geschichte unserer deutschen Vergangenheit, was daraus an Unheil erwachsen kann.

 

Holger Roloff, 15. April 2013

Nachtrag vom 14.Mai 2013: Im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Bücherverbrennung der Nazis vor 80 Jahren wurde auch auf Heinrich Mann`s Werk „Der Untertan“ hingewiesen. Das untertänig-katzenbucklige Verhalten, der vorauseilende Gehorsam und die Gesinnung des preußisch geprägten Kleinbürgertums in Deutschland, die Mann einst treffend beschrieben hatte, war völlig anschlussfähig an die Gesinnung der rechtspopulistischen Nationalsozialisten (mehr). Das bestätigt noch mal die in diesem Artikel „Gibt es ein Zurück zur D-Mark?“ aufgezeigte Parallele bezüglich der heutigen Partei „Alternative für Deutschland“, da es sich in ihrem Wesen um eine sehr ähnliche geistige Ausrichtung der Trennung und des Ausgrenzens anderer (in diesem Fall anderer Länder aus Europa) handelt.

Nachtrag vom 29.Mai 2013: Auch der deutsche Soziologe Justin Monday analysiert und charakterisiert in seinem Artikel „Die Loose-Loose-Situation“ sehr anschaulich das Denken der AFD und ihres geistigen Umfeldes (mehr).

Nachtrag vom 29.August 2013: Der deutsche Sozialwissenschaftler Phillip Becher gibt im Artikel „Rechtes Sammelbecken“, veröffentlicht in der Tageszeitung JUNGE WELT, einen Einblick in den aktuellen Stand, die Hintergründe und die Mitglieder der Partei AfD (hier).

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Author: hessenvorstand

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