Spiris machen Politik

 

Spiris machen Politik?

Wie geht das denn? Leben spirituelle Menschen nicht zurückgezogen ohne Fernsehen und Stammtischgerede? Interessieren sich nicht für Fußball und Feierabendserien. Wie sollen die denn Politik machen? Sehr gut, ist die Antwort. Angenehm aufmerksam und heiter. Mit viel Verständnis für den anderen und die Situation.

Spirituelle Menschen sind sicherlich eine Spezies für sich. Daraus kann man keine Massenbewegung machen. Genauso wenig wie aus einer Wissenschaftspartei oder einer Philosophenpartei. Trotzdem sollte spirituelles Denken in der Politik vertreten sein. Und wenn es der Mainstream nicht schafft, dann müssen wir es eben selbst bewerkstelligen.

Das eigentliche Problem ist gar nicht die Spiritualität. Jeder Mensch ist spirituell und hat eine Ader für Frieden, Harmonie und Mitgefühl. Und das fehlt definitiv in der Politik. Das eigentliche Problem einer spirituellen Partei ist ihr Widerspruch zur Religion. Wie das? Was hat denn Religion mit Politik zu tun? Leben wir nicht in einer säkularen Gesellschaft. Werfen wir nicht anderen Völkern vor, rückständig wegen ihrer Religion zu sein.

Religion ist nach wie vor das Bindeglied der Gesellschaft. Die Idee Europas baut auf einer christlichen Werteordnung. Die CDU hat das Christentum sogar im Namen. Die SPD folgt einem evangelikalen Menschenbild, bei den Grünen gibt es Buddhisten, Anthroposophen und andere Glaubensrichtungen. Vor Gott ist jeder Mensch gleich, vor Gott werden die Menschen von geistigen Idolen geführt und nicht von fragwürdigen Machtmenschen. Musik verbindet die Menschen beim CSU Frühshoppen, auf der Gewerkschaftskundgebung und der Antiatomkraftdemo. Dort marschiert der Aufsichtsratsvorsitzende neben dem Hartz IV Bezieher.

Sigmund Freud sagte, dass das religiöse Idol der Ersatz für den verlorenen Vater sei und die Bewegung in der Masse den Gewissensdruck herabsetze, bestimmte Handlungen zu begehen, die es ansonsten vor dem eigenen Gewissen nicht verantworten würde. Doch hat der Mensch bis heute keine geeigneteren Idole als die religiösen gefunden. Schauspieler, Sportler, Pseudowissenschaftler, Szientisten und Philosophen haben immer wieder eigene Bewegungen ins Leben gerufen, die meist nach wenigen Jahren gescheitert sind. Natürlich wäre es gut, wenn jeder Mensch seinen individuellen Überzeugungen folgen würde. Doch die lernt es erst im Verbund im Vergleich mit den anderen Menschen. Die Verbünde der unterschiedlichen Überzeugungssysteme von Religion, Spiritualität, Wissenschaft und Philosophie stehen in einer  gewissen Konkurrenz zueinander. Und das ist auch gut so und führt dazu, sich nie allzu sicher mit seiner Position zu sein.

Spirituelle Menschen werfen der Religion immer wieder fehlenden Tiefgang vor, obwohl sie seltsamerweise eigentlich Kritik an sich schon ablehnen. Ein Riesen Kuddelmuddel. Religion übernimmt gewisse rituellen Formen der Spiritualität in dem Anspruch, alles Menschliche mit einzubeziehen. Bei Sektenbildung wird sie aber sehr empfindlich.

Und jetzt wollen „Spiris“ auch noch Politik machen. Doch gibt es überhaupt den „Spiri“? Was unterscheidet einen spirituell eingestellten Menschen von einem nicht spirituellen. Diese Frage ist berechtigt, wenn mit Spiritualität Politik gemacht wird. Doch was unterscheidet einen liberalen Menschen von einem nicht liberalen, einen konservativen von einem nicht konservativen, einen linken von einem nicht linken? Einen Konsens wird es da nicht geben, sondern nur grobe Verallgemeinerungen. In dieser Welt, wo die Dinge ins Gegenteil verkehrt sind, wo es kein Recht mehr auf einen Schulbesuch gibt, sondern eine Pflicht, wo es nicht genügend Arbeitsplätze gibt, aber eine Verpflichtung zur Arbeit, wo Medikamente nicht als Hilfsmittel eingesetzt werden, sondern als Druckmittel, die einzunehmen sind, um seinen Job nicht zu gefährden, wo Weiterbildungsmaßnahmen keine Unterstützung sind, sondern eine Maßnahme zur Gängelung, wo wirklich alles ins Gegenteil verkehrt zu sein scheint, ist auch die Ablehnung gegenüber Spiritualität nur ein Reflex, ein Ausdruck der Hilfslosigkeit gegenüber dem Unsinn des Systems. Fast jeder Mensch, mit dem ich mich unterhalten habe, hat für sich eine spirituelle Ader reklamiert, über die er aber nicht bereit ist, öffentlich zu sprechen.

Weil auch nicht klar ist, was Spiritualität genau bedeutet. Wenn es keinen Diskurs gibt, dann gibt es auch keine Einigung über Begrifflichkeit. Das grobe Raster der Spiritualität heißt Esoterik. Mit Esoterik befinde ich mich in Volksnähe, jeder dritte hat sich schon einmal mit seinem Horoskop beschäftigt, lässt sich die Karten legen oder ruft auf einer Hotline an. Jeder dritte glaubt an Reinkarnation und das Krankheit auch energetisch heilbar ist. In vielen Ländern der Erde wird mit dieser Art Glaube auch Politik gemacht. Da ist der Schamane, der auch Häuptling ist und der dir nur ein Grundstück gibt, wenn du von keinem Zauber besessen bist. Esoterik wird zurecht von Politik getrennt. Doch Esoterik ist genauswenig Spiritualität wie Ahnenkult Religion ist und Meinungsumfragen eine Wissenschaft.

Eine politische Spiritualität kann nur eine individuelle sein. Die sich den Hierarchien der Politik und Wirtschaft wiedersetzt. Die den Menschen wieder in seine Selbstverantwortung bringt und ihm die Angst vor dem System nimmt. Sie ist quasi ein Wiedererlernen der grundlegendsten Übungen für das gleichberechtigte Zusammenleben. Ein Weg zu einer Lebenseinstellung, die zu einem Vorbild werden kann und das ist ja eigentlich auch das Ziel von Politik, Menschen zu finden, denen andere vertrauen können.

Im Grunde müsste es also völlig normal sein, Spiritualität im politischen Feld zu zeigen. Die Korrumpiertheit des Systems und die Unmöglichkeit, ohne Grenzüberschreitungen und Verletzung von Anderen Politik zu machen hindert den Einzelnen daran, es  überhaupt erst zu versuchen. Muss man sich damit abfinden, dass das nicht geht? Angesichts des Zustandes der Welt müsste eigentlich jeder Lösungsvorschlag erwünscht und jeder halbwegs gebildete Mensch willkommen sein, sich und seine Überzeugungen einzubringen. Vielleicht fehlen genau diese 10 % spirituelle denkender Menschen, die sich im Moment nicht für Politik interessieren und für die sich umgekehrt natürlich auch sonst niemand interessiert für die Überwindung des Stillstands innerhalb des etablierten Systems.

Junge Menschen wachsen mit alternativen Heilmethoden, Mediationsübungen in der Schule und religiöser und kultureller Vielfalt auf. Sie haben nicht diese Denkschranken. Auch ist die Aussicht auf Karriere begrenzt, so dass sie sich frei auch für Projekte engagieren können, die sich für aufstrebende Geister von Nachteil erweisen könnten. In der Politik geht es ja weniger um Autobahnbau und Schaffung von Kindergärtenplätzen, sondern vor allem um Selbsterkenntnis und das Erlernen von Verantwortung. Politik ist viel mehr eine Haltung als eine Tätigkeit. Im Kontakt mit vielen Menschen ist die eigene Überzeugung immer wieder gefragt und die Fähigkeit zum Weiterlernen und Umdenken. Die „Herren der Töpfe“ sind immer eingebunden in ein Netzwerk von Meinungen und diplomatischen Anforderungen. Sie leben im Dualismus, den sich der „Spiri“ so als Herausforderung wünscht. Warum sollte ein spirituell eingestellter Mensch also keine Politik machen?

Von Andreas Bleeck

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Author: hessenvorstand

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