Wertvorstellungen in der Politik

1601245_736323099722518_8139073479536442623_n

Die Vorstellung von Werten ist der Ausgangspunkt für Veränderungen. Werte verbinden Menschen und führen zu Gemeinschaft, wenn sie verinnerlicht sind. Auch Politiker orientieren sich vornehmlich an Werten, um an ihnen die Fakten zu vollziehen. Es gibt ganz unterschiedliche Werte, konservative wie auch progressive, familienbezogene oder arbeitsbezogene. Die Wertvorstellungen können sich innerhalb einer Generation stark verändern, manchmal bleiben sie auch für Jahrzehnte konstant.

Seit den 70ern haben wir in der westlichen Welt eine Betonung von Werten wie Fortschritt, Mitbestimmung, Emanzipation und Gleichberechtigung. Diese werden fast schon als unumstößliche Grundrechte behandelt. Andere eher traditionelle Werte wie Ordnung, Fleiß, Heimatverbundenheit oder Treue werden eher misstrauisch beäugt oder als sogenannte Sekundärtugenden bezeichnet, d.h. als Tugenden zweiten Ranges. Es ist gut erforscht, dass die Medien eines Staates eher links und progressiv ausgerichtet sind, während seine Institutionen, bzw. die Menschen, die ihnen dienen, eher konservativ denken. Wichtig ist, dass beide Seiten sich wahrnehmen und den jeweils vermeintlichen anders denkenden Verständnis gegenüber bringen.

Wenn die AfD und die Pegidabewegung nun altbackene Werte aufbringt, dann liegt darin ein Hinweis auf etwas, was sich Gehör verschaffen will und sich auf so drastische Weise Gehör verschafft, weil es jahrelang nicht wahrgenommen wurde. Dies ist nicht nur das Thema Überfremdung, sondern auch der Einfluss von ausländischen Investoren, die Unkontrollierbarkeit von Banken und die damit verbundene Angst um die Renten, sowie der Verlust sicherer Arbeitsplätze. Ein respektvoller Umgang miteinander gehört zu den Grundlagen unseres Werteverständnisses und es ist sichtbar, dass dieser nicht mehr gegeben ist. Wenn man nicht total aneinander vorbeiredet, dann ergeht man sich in Floskeln oder wiederholt schematisch Klischees und Ängste auf beiden Seiten.
Auch die sozialliberale Seite nimmt sich dieser Themen an, allerdings bestehen Zweifel, dass sie Lösungen bieten kann. Wenn man sich erinnert, dass Hartz IV, Investorenschutz und Eintritt in den Afghanistankrieg alles unter einer rotgrünen Regierung beschlossen wurde, und die ESM-Verträge und die Verhandlungen über TTIP mit einem Wirtschaftsminister der SPD eingefädelt wurden, dann stellt sich die berechtigte Frage an der Ernsthaftigkeit linker Kritik am Neoliberalismus. Selbst Gabriel, der als der am wenigsten Konservative des einstigen Trios mit Steinbrück und Steinmeier galt, reist im Moment durch Europa und macht bei seinen Amtskollegen Werbung für TTIP – vor einer etwaigen Urabstimmung in der Partei nennt man sowas Schaffen von Fakten. Und so kommt es, dass Demonstranten aller Couleur sich im Moment im Protest vereint auf den Straßen finden und niemand genau weiß, wofür er protestiert, über Demonstrationen gegen TTIP und Abhörmethoden wird kaum mehr berichtet, es sei denn, es sind wie letztes Wochenende hunderttausende auf der Straße.

Die fehlende Berichterstattung über weite Teile der öffentlichen Meinung liegt nicht in einer bösen Absicht, sondern einfach in einem Reflex der Journalisten, die sich auf einen bestimmten Ausschnitt einer sehr komplex gewordenen Situation konzentrieren und wissen, dass man sich an bestimmten Themen die Finger verbrennen kann. Viele Menschen, die in gut dotierten Berufen der gehobenen Mittelschicht arbeiten, glauben, dass es „das Böse“ nicht gibt und in ihrem Leben alles in Ordnung ist. Und dass sie ein gutes Gewissen haben, weil sie sich als engagierte Bürger für viele Dinge interessieren. Es ist nicht ihre Schuld, dass die Armut steigt, dass die Energieproblematik sich verschärft, dass Ost und West sich nicht versöhnen können.

Doch in Wirklichkeit tobt seit Jahren ein Wirtschaftskrieg um die letzten Ressourcen, der mit aller Härte geführt wird und 50 Millionen Menschen schon in die Flucht aus ihrer Heimat geschlagen hat. In diesem Krieg gibt es zwei Seite, die auf subtile Weise unsichtbar bleiben. Auf der einen Seite geht es um die Bewahrung lokaler Selbstbestimmung, das Recht auf den eigenen Boden, das Wasser, die Stadtwerke und die eigene Energieversorgung. Auf der anderen Seite geht es um die Befriedung von Investoreninteressen, um das Wirtschaftswachstum und um die Beseitigung von Handelserschwernissen. Beide Seiten sind diametral entgegengesetzt. Wachstum von Kapital und Konsum gibt es nur, wenn global operierende Konzerne noch mehr Flexibilisierung und Ausschöpfung von Arbeitskraft erreichen können. Einen Menschen, der selbstgenügsam von eigenem Anbau lebt, ist für diese Art von Wachstum verloren.

In dieser Auseinandersetzung gibt es viele Opfer, die aber vom gängigen Denken nicht ursächlich mit diesem Krieg in Zusammenhang gebracht werden. Das Mantra des Konsums und der Glaube an die Steigerung des eigenen Wachstums, das letztendlich dann allen zu Gute kommen soll, ist ungebrochen wirksam. Die neoliberalen Schulen führen gerade jetzt besonders aktiv Kampagnen für ihre Vorhaben von TISA und TTIP, die freie und für die Politik unkontrollierbare Märkte in 20 Ländern rund um Amerika, China und Europa schaffen sollen. Da diese Verhandlungen geheim sind, ist es für Politiker schwierig, sich eine objektive Meinung zu bilden. Ein Mensch, der keine klare Richtung sieht, wird deshalb natürlicherweise bei der bestehenden Ordnung bleiben und alles andere zunächst als feindselig erleben. Viele Jahre hat diese Wirtschaftsphilosophie uns ja auch genützt und zu stabilen Preisen und einer Wertschöpfung geführt.
Und hier kommen wieder die Werte ins Spiel.
Je unsicherer eine Lage ist, desto mehr tendieren Menschen wieder zurück zu konservativen Werten. Verbundenheit zu seinesgleichen wird wichtiger, und der Schutz der Persönlichkeitssphäre. Die Möglichkeiten der elektronischen Welt sind für jeden Menschen unheimlich. Der Fernseher meldet zurück, was wir gerade tun, das Handy meldet zurück, wo wir uns gerade befinden und die Versicherungskarte meldet unseren Gesundheitsstand. Wer sich mit diesen Dingen nicht gut auskennt, findet die eingebauten Ausschalter nur sehr schwer. Und sollte er gar „auf der falschen Seite“ stehen, dann nützt ihm dieser Ausschalter auch nichts. Wir sehnen uns zurück nach einer einfachen Welt, in der es klare Regeln gab.

Aber diese Regeln müssen von uns selbst gemeinsam entworfen werden. Dazu muss man sich die Werte des anderen Menschen anschauen, die ihm wichtig sind. Nicht wenige Menschen wünschen sich Frauen zurück an den Herd und Ausländer zurück in ihre Heimat. Diesen Menschen muss man klar sagen, dass dies nicht geht. Wir leben in einer globalisierten Welt und sind alle Teil des Problems, das wir zu lösen versuchen. Einzelne Menschengruppen für die Situation verantwortlich zu machen, zeugt von Hilflosigkeit und fehlendem Realitätssinn.

Wichtig ist es aber, trotzdem den dahinter stehenden Wunsch zu erkennen und darüber nachzudenken, wie die damit verbundenen Werte respektvoll eingebunden werden können. Letztendlich geht es darum, dass kein Mensch der Erde mehr vertrieben werden muss, um die Gier einiger Weniger zu befriedigen. Dass lokal stabile Strukturen geschaffen werden, ohne dass daraus Weltabgewandtheit resultiert. Dass Regionen ernsthaft eingebunden werden als Verhandlungspartner und Mitbestimmungsrecht erhalten. Die Sympathie vieler Menschen für Griechenland resultiert aus dem Mut, die Schikanen deutlich von sich zu weisen und trotz einer aussichtslosen Situation selbstbewusst aufzutreten. Griechenland ist für Europa eigentlich das, was Europa für Amerika ist – ein Spielball der Spekulation und die Zuweisung einer Schuld. Doch es ist schwer, diesen Blick auszuhalten. Niemand möchte ein Spielball für irgendwen sein und als Sündenbock für Verfehlungen dastehen, die man selbst nicht beeinflussen konnte.

In gewissen Sinne kann man dem „Bösen“ dankbar sein, dass es existiert. Denn Europa würde ohne Amerika nicht wirklich über effizientere Strukturen und stabile politische Verhältnisse nachdenken. Es würde sich sentimental angesichts seiner einstigen Größe als Kolonialherren ergötzen und darauf vertrauen, dass die bisherige Ordnung ausreicht, um die Probleme von morgen zu meistern. Es würde auf der Überlegenheit seiner Institutionen herumreiten und die inneren Probleme herunterspielen. So wird  deutlich, dass Europa wie jeder andere Kontinent  zurzeit Probleme einer stabilen Gesellschaftsordnung hat. Und dass die vorgehaltenen Werte der Freiheit und Kreativität längst nicht mehr alle erreichen; dass über die Hälfte seiner Mitbürger von einem selbstbestimmten Leben abgehängt sind und auf die Almosen anderer angewiesen.

„Weil du die Freiheit hast, dich selbst zu verwirklichen, bist du auch selbst Schuld, wenn du es nicht geschafft hast“, ist das Mantra der europäischen Zivilisation, die Nordamerika in gewisser Weise adaptiert und in die Übertreibung geführt hat. Der Wert der Freiheit hat immer auch ein Pendant unerfüllter Bedürftigkeit, so wie jeder Wert. Solange die Freiheit einen realen Bezug hat, kann man über die unerfüllten Bedürfnisse reden. Sobald die Freiheit aber hinter staatlicher Autorität und Konzerndruck versiegt, geht die Verhandlungsbasis verloren. Und dann werden die inneren Probleme nach Außen projiziert.

Wir denken seit mehreren Jahren mehr über die Probleme anderer nach, als über unsere eigenen. In der Ukraine,  im Irak, in Ägypten und vielen anderen Ländern sind Umwälzungen im Gange, für die wir nur bedingt Lösungen haben. Wir beschäftigen uns mit der Bedrohung durch den Islamismus, während unser Rechtssystem durch unerlaubte Überwachung und Unangreifbarkeit von Konzernen systematisch unterhöhlt wird. Wir beschäftigen uns einseitig mit der Möglichkeit einer russischen Aggression, während alle größeren Staaten der Welt Aufrüstung betreiben. Die Kapazität unserer Aufmerksamkeit geht dafür drauf, die Probleme anderer Menschen zu analysieren, während unsere Kinder zunehmend an Hyperaktivität und Hypersensibilität leiden, die Rate von Burnouts und Depressionen stark steigt und während der Verbrauch von Medikamenten sich innerhalb von 15 Jahren verdoppelt. Sich diesen Problemen zu widmen, ohne das Mitgefühl für das schreckliche Geschehen auf und rund um das Mittelmeer zu verlieren, ist die Aufgabe.

Die Lösungen dafür liegen in uns selbst, in einer erhöhten Aufmerksamkeit für gesellschaftliche Verwerfungen und in einer besseren Politik. Politiker sind in Zeiten der Krise immer schlecht angesehen, weil es in der Natur der Aufmerksamkeit liegt, das zu sehen, was einem am nächsten ist und den verantwortlich zu machen, der am ehesten in den Medien auftaucht. Gerade deshalb ist es in Krisenzeiten so wichtig, vernünftige Politik zu machen und Alternativen aufzuzeigen und sich für unkonventionelle Wege zu öffnen. Werte wie Spiritualität, gemeinschaftliche Verbundenheit, Mitgefühl und die Fähigkeit zum Zuhören werden gegenüber den oben genannten Werten des linken und rechten Spektrums vernachlässigt; ja sie gelten sogar als anrüchig und rückständig, weil ihnen unterstellt wird, dass „das in der Politik sowieso nicht geht“.
Violette Politik versucht, dieser Komplexität gerecht zu werden und keine einfachen Parolen abzusondern, sondern ein Gleichgewicht der Meinungen und Interessen zu bewahren, das die Grundlage für eine objektive Entscheidungsfindung ist. Dazu muss man von dem Denken in Schemen von links und rechts wegkommen. Sie hindern uns daran, die wirklichen Sachen zu sehen. Auch ein vorgeschobener Liberalismus oder eine Etikettierung mit grünen Labeln ist nicht hilfreich in einer global vernetzten Welt. Es geht um die konkreten Ereignisse, für die es jeweils individuelle Lösungen und neue Ideen braucht. Jede Meinung ist in diesem Prozess wichtig und zwar nicht nur durch Lippenbekenntnisse, sondern durch eine grundlegende Haltung der Offenheit und Bereitschaft zum Diskurs.

Andreas Bleeck

 

Print Friendly, PDF & Email

Author: hessenvorstand

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert