Glaube und Spiritualität in der Politik

Glaube, Spiritualität und Esoterik in der Politik?

 

Seit 10 Jahren haben es sich die Violetten auf die Fahne geschrieben, Spiritualität in die Politik zu bringen. Manch einer wird das schon für zu lange halten. Doch ist der Gedanke wirklich so absurd? Um dies zu klären, muss man zunächst die Begriffe definieren. Was ist Spiritualität? Was hat sie mit Glauben und Kirche zu tun und was ist Esoterik?

Fangen wir mit letzterem an. Esoterik ist per Definition die „innere Lehre“  im Gegensatz zur exoterischen Variante. Sie ist die Mystik und das Geheimwissen der Religionen und ihrer abgeschiedenen Gruppierungen, die sich der Erforschung der Natur Gottes und des Menschen verschrieben habe. Mystik gibt es in allen Religionen, die Christen hatten ihren Meister Eckhard und  verschiedene Heilige wie Hildegard von Bingen oder Franz von Assisis. In der neuen Zeit machten Jakob Böhme und Eckhard Tolle von sich reden. Allen gemeinsam ist ein absolut persönlicher Zugang zu den „letzten Fragen“ des Daseins. Im arabischen Reich gibt es die Sufis, bei den Indern die Jains, die keine Tiere töten, bei den Buddhisten die Linie des Karmapa usw.

Diese Art von „Esoterik“ hat scheinbar wenig mit dem täglichen Leben zu tun und ist schwerlich mit Politik in Einklang zu bringen. Doch denken wir an Ghandi, dessen Haltung durch eine absolute Gottergebenheit geprägt war. Ohne ihn wäre eine Demokratie in Indien schwer vorstellbar. Oder an den Dalai Lama. Auch die Haltung vieler Gruppierungen während der französischen und amerikanischen Revolution war stark von einer mystischen Haltung geprägt. Ohne Freimaurer, Rosenkreuzer und andere Orden wäre die Revolution nicht in Gang gekommen und noch heute nehmen sie Einfluss auf das politische Tagesgeschehen.

Religion ist nicht gleich Kirche und Kirche ist nicht gleich Spiritualität. Die Kirche ist eine Institution, die den Problemen unterliegt, die alle vom Menschen erschaffenen Institutionen  hervorbringen, egal ob sie christlich, islamisch, buddhistisch, hinduistisch, jüdisch oder sikhistisch ist, um die größten Religionen zu nennen. Die Kirche schafft Strukturen, um Gesellschaft außerhalb von Politik zu ordnen und Toleranz und Akzeptanz zwischen unterschiedlichen Gruppen und Ethnien zu bewirken.

Die Religion ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich Menschen einigen, um ihrer gemeinsamen Anschauung Ausdruck zu geben. Doch sobald daraus Institutionen entstehen kommt es zur Herausbildung von Machtstrukturen, die die vorgegebenen Ziele unterminieren. Ein Mensch muss nicht religiös sein, um bestimmten Werten zu folgen. Es gibt einen so genannten „gesunden Menschenverstand“, der uns in den meisten Situationen richtig handeln lässt. Eher würde eigentlich der Begriff Volksweisheit passen, denn ein Mensch aus den unteren Schichten weiß am besten, wie ungerecht die weltliche Ordnung aussieht und er sieht praktisch den Missbrauch der Macht jeden Tag an sich selbst. Diese Volksweisheit ist eine andere Form der Esoterik. Sie begegnet uns Tag für Tag in Ratgebern über ein besseres Leben, in Weiterbildungskursen für Firmen und im Fitnessstudio. Es ist eine Art Küchenpsychologie, die uns instinktiv für uns selbst sorgen lässt und uns auf die einfachen Dinge des Lebens führt. Politik ist vielleicht deshalb so unbeliebt, weil die Politiker in ihrem Streben nach „wissenschaftlicher Objektivität“ und „Folgerichtigkeit“ den Ton des Volkes verfehlen und ihn auch gerade da verfehlen, wo sie beginnen würden, menschlich zu wirken.

Auf der anderen Seite verführt diese Volksweisheit aber auch zu Vereinfachungen und hilft extremistische Tendenzen zu verstärken. Eine Partei, die sich Spiritualität auf die Fahne schreibt, braucht eine besonders selbstkritische Position gegenüber ihren eigenen Aussagen. Denn natürlich ist man nicht automatisch spirituell, indem man es von sich selbst behauptet. Die Differenz zwischen spirituell und nicht spirituell wird genau da deutlich, wo die eigenen Aussagen auf Widersprüche in der Realität treffen.

Genau da, wo Menschen normalerweise beginnen, wegzuschauen und die Widersprüche zu ignorieren. Und damit sind wir bei der dritten Art von esoterischen Übungen, den Verschwörungstheorien. Dies ist wohl das dunkelste und umstrittenste Kapitel des menschlichen Daseins. Wo es Politik gibt, gibt es unterschiedliche Meinungen und es gibt Gewinner und Verlierer. Die Geschichte schreibt derjenige, der die anderen von seiner Meinung überzeugen konnte, womit die Meinung des anderen natürlich nicht verschwindet.  Demokratie besteht im Wesentlichen in drei Dingen, in der Pressefreiheit, im Föderalismus und in der Gewaltenteilung der Institutionen. Dies garantiert, dass jede Meinung irgendwo ein Feld findet, wo sie gehört werden kann und sich von der kleinsten Ebene heraus langsam hocharbeiten, bis sie vom Mainstream wahrgenommen wird.

Viele Dinge, die heute selbstverständlich sind, waren gestern völlig undenkbar, so etwa die Gleichberechtigung von Frau und Mann und von Homosexuellen, die Mitbestimmung an Universitäten und Schulen, die Integration von Einwanderern u.v.m. Wer so etwas forderte war und ist heute noch manchmal ein Verschwörer gegen den deutschen Staat und seine „Leitkultur“. Die Grünen galten in ihrer Anfangsphase als Anarchisten und Zersetzer der bürgerlichen Freiheit, weil sie sich für die Natur einsetzten. Beliebtestes Feld der Verschwörungstheorien ist aber natürlicherweise das Militär, da es in seiner Struktur Geheimnisse bindet und Menschen im Unklaren über seine Handlungsmotive lässt. Die Bundeswehr hat beispielsweise schon längst bestätigt, dass es chemische Versuche zur Wetterbeeinflussung gibt und es sind Uno Dossiers veröffentlicht worden, die dieses weltweit belegen. Wenn aber jemand von Chemtrails spricht, dann gilt er als Verrückter, außer Jörg Kachelmann,  der auch als Verrückter gilt, obwohl er Chemtrails für eine Erfindung hält. Man kann darüber lange reden, solange die Fakten nicht bekannt sind, bleibt es Spekulation und Verschwörungstheorie. Wahrheit wird es erst, wenn es verhandelbar ist und verhandelbar ist es nur, wenn es im demokratischen Prozess auf eine politische Agenda kommt. Vorher bleibt es „Esoterik“ in ihrem negativen Sinn, wie z.B. auch das bedingungslose Grundeinkommen.

Es kommt also immer auf den Blickwinkel an. Wenn eine Partei sich auf alle drei Varianten der Esoterik einlassen möchte, auf die mystische, auf die volkstümliche und die verschwörungstheoretische, dann muss sie diesen Sichtweisen eine Plattform bieten, ohne selbst die Entscheidung über richtig oder falsch zu treffen, was natürlicherweise Menschen sehr schwer fällt. Dass es geht, zeigt die bisherige Praxis der Violetten, die allerdings noch in keiner öffentlichen Diskussion bisher wahrgenommen wurden, wie etwa die Thesen der Piratenpartei. Wahrscheinlich ist dies auch besser so, denn die Fähigkeit der einzelnen Menschen, zwischen den verschiedenen Varianten der Esoterik zu unterscheiden und auch die eigene Spiritualität und Religiosität kritisch zu betrachten  und sich damit selbst im Feld der Esoterik zu sehen, ist noch sehr klein. Die, die sich damit beschäftigten sind noch „außen“, die „Anderen“, die „nicht so sind, wie wir“.

 

Andreas Bleeck

 

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Author: hessenvorstand

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